In
"Bora" mach sich Ruth Cerha um den kroatischen Tourismus
verdient
"Liebe
und Endlichkeit, die zwei großen Themen, da kann sich keiner
entziehen", heißt es in "Bora". Alles dazwischen ist
ja Mumpitz, und Gefühle
sind wichtig, auch wenn's die falschen sind. Der Klappentext raunt
von großer Liebe und Magie – und gut, dass zum Zeitpunkt der
Lektüre grad Sommer und Urlaub ist, da hat man Zeit für die
Romantik. Auf die muss man in der "Geschichte vom Wind"
eine Weile warten.
Schauplatz
ist die Insel Susak nahe
Lošinj, quasi im Lee des großen Urlauberansturms. Die Wienerin Mara
verbringt als Edeltouristin ihre Sommer hier und hat sich soeben von
ihrem Freund getrennt. Sie ist Schriftstellerin (Obacht, Metaebene!)
und hat fast naturgemäß eine Schreibhemmung; ihr Leiden daran
beschreibt sie als das Gefühl, es säße in ihrem Inneren ein
strenges "kleines Mädchen im Faltenrock". Ihre
Geschichtenlosigkeit bessert sich nicht, als sie eines Morgens des
unsteten Fotoreporters Andrej ansichtig wird und sich unverzüglich
ihn in verknallt, als sei sie nicht vierzig, sondern vierzehn.
Unruhig wie eine Blume im Wind (Leitmotiv!) wird Mara vom
Gefühlsüberschuss auf der Insel herumgetrieben, sie muss sich von
ihren verständnsivollen Inselfreunden trösten lassen, ohne dass wir
wüssten, weswegen. "Haben sie jetzt schon gebudert?",
fragt der Strandnachbar, der seit 70 Seiten die Rezensentin ächzen
hört. "Nein, sie ist noch nicht bereit für eine neue
Beziehung!" Dann klappt's endlich mit dem feschen
Kroato-Amerikaner, die Schriftstellerin fühlt "ein paar große
Kirchenglocken, die direkt in meinem Brustkorb läuteten." "Wenn
ich verliebt bin, werde ich pathetisch, das stört mich daran."
So liest sich das stellenweise auch. Die Liebe ist ein seltsames
Spiel, sie kommt und weht von einem zum andern. So wechseln auch die
Perspektiven, aus denen die Geschichte erzählt wird. Weil es keine
Liebe ohne Drama gibt, beginnt das freiheitsliebende Paar relativ
bald mit neurotischen Zänkereien. Nur wissen wir hier auch nicht
genau, ob der Zwist andere als dramaturgische Gründe hat. Zumindest
löst er die Schreibblockade.
Schreiben
kann Cerha sehr wohl, ein strengeres Lektorat hätte ihr aber
vielleicht die obgenannten Glocken in der Brust ausgeredet, oder
Sätze wie "Wenn ich etwas unbedingt möchte, beachte ich meine
Achselhöhlen aber nicht. "Bora" ist ein etwas
geschwätziges Buch, Cerha erklärt viel, in langen, adjektivstarken
Parataxen erzählt sie zugleich vom Moment der Verliebung und von der
fehlenden Mülltrennung, vom haubitzenvollen Besoffensein und
schlampiger Geschützwartung. Die Dialoge dienen allzu oft als
Informationsvehikel. Neben der klassischen Liebesgeschichte geht es
um die Geschichte der Insel unter besonderer Berücksichtigung der
Emigration nach Hoboken, New Jersey, und unter noch engerer
Berücksichtigung der Familiengeschichte Andrejs. Dazu kommen
Berichte aus Maras Schreibpraxis, über die Entauratisierung der
Fotografie in Zeiten der digitalen Reproduzierbarkeit sowie istrische
Kulinarik. Die windische Dialektik von Bora (kalter Fallwind) und
Jugo (Südwind) nicht zu vergessen. Das ist alles interessant, die
Handlung leidet aber.
Ganz
billig gibt es Cerha freilich nicht, etwa als Mara ihrer
Doch-Nicht-Schwiegermutter erklären will, dass sie sich zwar ihrer
Familiengeschichte bediene, aber literarisch eh verfremdet, und diese
auf gut New Jersisch grantelt, "I am not a jerk, I know what a
novel is." Schön auch die Idee mit dem "Amt zur Prüfung
der Daseinsberechtigung", das ideenlose Literaten molestiert.
Und obwohl "Bora" sich als Urlaubslektüre etwas zu
deutlich aufdrängt, ertappt man sich sehr wohl beim Wunsch, nächsten
Sommer wieder einmal nach Kroatien zu fahren. Weil: Pittoreskes
Inselleben! Die köstliche Seezunge, der feurige Schnaps, die
warmherzigen Leute! Wäre man Leiterin des Kvarner Tourismusbüros,
man wollte Cerha einen ganz lieben Brief schreiben.
Ruth
Cerha: Bora. Eine Geschichte vom Wind. Frankfurter Verlags-Anstalt,
288 S., 20,50 Euro
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