Donnerstag, 6. August 2015

Lisa Spalt: Ameisendelirium

Gedanken, „als die du ein paar müde Vögel sich im Staub baden siehst“? Was für ein Bild! Oder das Paradoxon: „Dein individueller Wille ist der, im Willen der Allgemeinheit aufzugehen.“ In ihren 37 Texten, kaum einer länger als zwei, drei Seiten, beginnt Spalt oft beim Alltäglichen, etwa im Arbeitsamt oder bei der Lust auf eine Leberkäsesemmel, um dann das Niveau an den Plafond zu fahren. Einmal nicht aufgepasst, schütteln sie die unaufmerksame Leserin sofort ab. Aber daran ist nichts Falsches, man lese eben achtsam! Teil der Komplexität ist nicht nur die inhaltliche Dichte, sondern die grammatikalische Ausführung: Wie Ameisen im Bau wuseln die Satzteile, ein jedes wichtig, aber ohne auf den allerersten Blick erkennbare Hierarchie. Wer dran bleibt, folgt Spalt ins Zwischenreich von Natur und Kultur, Partikel und Masse, Geisteswissenschaft und Hoch-, Tief- oder Gabelstapeln. Im Idealfall erschließt sich ihr hintergründiger Witz, wie im Exegese-Exkurs zur erwähnten Leberkäsesemmel, die ja als ungesund sei. „Einspruch: Die Natur hat die Länge des Lebens so geplant, dass du Kinder großziehen kannst und nicht mehr.“ Gesunde Ernährung sei deswegen eine künstliche Verlängerung der Existenz.
Der Czernin Verlag hat sich erneut um anspruchsvolle Literatur jenseits gängiger Schubladen verdient gemacht. Die skurrilen und schönen Illustrationen der Autorin machen die Sache komplett.

Lisa Spalt: Ameisendelirium. Czernin Verlag

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