Mittwoch, 28. Oktober 2015

Margit Schreiner: Das menschliche Gleichgewicht

Die heikle Balance zwischen Urlaub und Tragik

Die österreichische Herbstliteratur erzählt heuer viel von kroatischen Inseln. Bei Margit Schreiner kann von Urlaubslektüre eher keine Rede sein. Ihr Roman basiert auf einer Kurzgeschichte aus dem Jahr 2013, diese wiederum auf einer wahren Begebenheit: Ein befreundetes Ehepaar, das nach Israel ausgewandert war, wird vom eigenen Sohn ermordet, bevor ihn die Polizei erschießt. Die Erzählerin in “Das menschliche Gleichgewicht” ist eine sechzigjährige Schriftstellerin, halbwegs junggeblieben, aber desillusioniert, was die Zukunft ihrer Karriere angeht. Sie ist auf dem Sprung in den Urlaub, den sie mit dem frisch pensionierten Partner und Freunden auf einer einsamen Insel verbringt. Ihre Hoffnung, zum Schreiben zu kommen, zerschlägt sich, als unerwartet die zwanzigjährige Sarah vor der Tür steht. Eltern und Halbbruder sind tot, vor sieben Monaten hat sich auch ihr Bruder umgebracht. "So einen Menschen schickt man nicht weg". Es kommen also Psychopharmaka ins Gepäck und Sarah mit auf die Insel. Von da an wechselt sich der geradlinige Bericht der Erzählerin mit Auszügen aus Sarahs "Krankentagebuch" ab, das sie in der Jugendpsychiatrie geschrieben hat. Urlaubsfreuden und Traumata: Schreiner zeigt, wie wenig Alltag und Ungeheuerlichkeit trennt.
Seit je her ist ihr Schreiben durch die eigene Biographie bestimmt: "Es hat Zeiten gegeben, da habe ich alle Schriftsteller beneidet, die ihre Existenz hinter Erfundenem verbergen konnten." Im Lauf der Zeit hat sie aber die Fiktionalität der eigenen Existenz erkannt. Erinnerungen sind trügerisch (und das ist gut so), die Biographie eine selbstgetextete Erfindung. Die Tragödie ist so echt wie der Aufenthalt auf der Insel.
Deutlich ist ihr Wille, die Wirklichkeit sprachlich nicht zu entschärfen, also stilistisch trocken zu bleiben. Dabei legt Schreiner ihre Spätsommergeschichte nicht unidyllisch an, die beiden Familien sind einander innig zugetan, man trinkt, lacht, es springt auch der eine oder andere Delfin aus dem Meer. Sie lässt sich sogar zu (gelungenen!) Landschaftsschilderungen hinreißen. Zentrale Einsicht der Erzählerin: "Kein Roman ist es wert, dachte ich beim zweiten Glas Weißwein, ihm etwas Lebendiges zu opfern." Der Roman ist aber definitiv die Zeit wert, die man seiner Lektüre opfert.


Margit Schreiner: Das menschliche Gleichgewicht. Schöffling, 240 S., 20,60 Euro

Montag, 5. Oktober 2015

Austrofred: Pferdeleberkäse

Der Czernin Verlag bietet sich wiederholt mit einem lustig gemischten Programm an: Zuletzt war hier von Lisa Spalt die Rede, im November nehmen wir nun Manfred Rebhandl und den Austrofred unter die Lupe. Erstere schreibt komplexe Prosaminiaturen, die beiden Herren erfreuen – jeder auf seine Weise – mit einer Fusion aus „schön blöd“ und „äußerst gescheit“.
Durch Selbsternennung ist Austrofred tatsächlich zur „Grande Dame der österreichischen Rockkultur“ geworden: „Es gibt Bezirke in Oberösterreich, da habe ich einen höheren Bekanntheitsgrad als Coca-Cola und Fanta zusammen – sprich: Ich bin bekannter als ein Spezi.“ Nun hat er eine Auswahl seiner Essays zusammengestellt und gemäß der Analogie zur Herstellung von Leberkäse auch so benannt. Inhaltlich geht es um nichts weniger als um die Sicherung des Rock-Standortes Österreich (berühmte Musiker hier sterben lassen), Hommagen an große Kollegen (für Otto Wanz zerreißt er das Telefonbuch „Bad Hall und Umgebung“) und immer wieder um die Mühen der Erwerbsarbeit: „Künstler ist eher ein Beruf wie Handtaschlräuber: Einmal erwischst du viel, ein anderes Mal erwischst du wenig.“ Auch über die ganz großen, im Grunde einzigen Themen der Literatur (Liebe und Tod) macht er sich Gedanken: „Ich selber spiele immer sehr, sehr gerne bei Beerdigungen, weil du da immer ein hochkonzentriertes Publikum hast. Während bei einer Erstkommunion das Publikum unter der Bank im Prinzessin-Lillifee-Katalog schmökert“. Der Austrofred – ein großer Philosoph der kleinen Dinge, der Freddy Mercury des Profanen.
Regionalpatrioten dürfen sich zusätzlich daran ergötzen, wie er sich darum bemüht, schöne Wörter wie Klescher, Tschoch, düd, burren oder schwanern fit für den Literaturmarkt zu machen.

Austrofred: Pferdeleberkäse. Aufsätze und Reportagen. Czernin Verlag