Frausein ist immer noch nicht lustig
Nadine
Kegele versöhnt Poesie und Politik
Einen
gesunden Hund einschläfern lassen, nur weil er blad ist? Nadine
Kegele wagt sich in ihrem Romandebüt gleich zu Beginn auf
gefährliches Terrain: Bei der Liebe zum Haustier versteht der
Österreicher an sich wenig Spaß.
Nora
(wir dürfen ein bisschen an Ibsen denken) hat ihren Arbeitsplatz in
der Mahnabteilung eines Energiekonzerns verloren und sieht sich mit
Anfang 30 bei jedem neuen Arbeitgeber unter "Generalverdacht"
in Sachen Schwangerschaft. Sie müht sich mit der Abendschule herum
und findet sich nur unter innerem Protest mit der schönen Ex und der
Tochter ihres Freundes Anton ab. Noras einst überforderte,
alleinerziehende Mutter (die "keine Begabung für Familie"
hat) liegt im Koma – es ist deren Hund, den sie töten hat lassen,
aus Mitleid, denn einen dicken Spaniel wolle doch niemand adoptieren,
das sei ja wie bei den dicken Kindern.
Überhaupt
ist die Rolle der Tiere (Katzen, Hunde, Blutegel, Hamster, Ameisen)
bedeutsam. Nora beneidet sie um das Fehlen innerer Erschütterung.
"Diese Tiere leben nicht zum Spaß und dennoch sehen sie nicht
unglücklich aus." Sie mag die titelgebenden Eidechsen ihrer
Sollbruchstelle wegen, an der sie ihren Schwanz abwerfen können; am
liebsten wäre es ihr, gleich gar kein zentrales Nervensystem zu
haben. Und: "Haustiere sind gut gegen einsam". Sie dienen
als Methadon beim Sozialentzug. Als es Nora den Einsiedlerkrebsen
gleichtut und ihre Wohnung nicht mehr verlässt, reicht ihr der
illegal einbehaltene Gastkater Juri als Gesellschaft.
Protagonisten,
die sich vor der krisenhaften Gegenwart und deren Ansprüchen
eremitisch zurückziehen, das ist als Thema derzeit nichts ganz
Neues. Wie Kegele das in lakonischer, bildstarker Sprache einlöst,
ist lesenswert. Ihr Text umfasst auf zwei Zeitebenen die Biographien
von Mutter und Tochter (wobei das alles nicht so einfach ist). Dazu
kommen, sparsam und eindrücklich erzählt, Lebensgeschichten wie
etwa jene der alten Nachbarin Sarah Tänzer, die ihre Tochter im
Holocaust verloren hat. Aber, so wird sich Nora eingestehen, das
eigene Unglück ist immer das größte. Und Selbstmitleid ist hart
erarbeitet.
Abgesehen
von Anton, der Noras mangelnde Nähe beklagt, sind männliche
Sympathieträger rar. Klar, es geht Kegele um Feminismus. Es war
früher nicht besonders lustig, eine Frau zu sein, recht viel schöner
ist's aber heute auch nicht. "Du wirst schon sehen, die Natur
holt die Frauen bei den Kindern ein", heißt es, und "so
ein Körper tut mit der Frau ja, was er will". Es ist ein großes
Hinnehmen von Kindern, Männern, Arbeitgebern.
Nora
hat einen früheren Partner mit Kinderpornos erwischt und beginnt
eine Therapie bei der "Kaiserin" die sie fortan als innere
Stimme der Vernunft begleitet. Wie schon ihre Mutter hat Nora keine
besondere Begabung für Beziehungen; immerhin gelingt es ihr schon
viel eher, nicht in eine Opferrolle zu geraten. Und bei allen
Reibungen mit ihren Bobo-Freundinnen bleibt am Ende immerhin die
Freundschaft.
Arbeitswelten,
Patchwork, in der Retorte gezeugte "Halbwesen" (böse Frau
Lewitscharoff!), ein "Nekrophilenkonglomerat": Kegele ist
thematisch nahe an der Gegenwart. Die Figuren sind glaubwürdig,
deren Handlungen plausibel. Sie beherrscht den Einsatz von
Leerstellen. Immer wieder ragen Sätzen oder bewusste Tippfehler
("Furchtsaft") aus dem Erzählfluss.
Die
in Wien lebende Vorarlbergerin hat sich zuletzt im Literaturbetrieb
etabliert, sein Produkt ist sie nicht. So viel zur Debatte, ob denn
heute die Literatur nur noch von Ärztekindern geschrieben werde.
Autorin wurde Kegele auf dem zweiten Bildungsweg. Da sie seit ihrem
16. Lebensjahr arbeitet, weiß sie Bescheid, wenn sie über
Lohnarbeit schreibt. Deswegen sind ihre Texte dem Engagement ebenso
verpflichtet wie der Poesie. Hier schreibt eine, die der eigenen
Stimme selbst Raum schaffen musste. Sie löst damit die Erwartungen
ein, die sie im Vorjahr mit dem Publikumspreis beim
Bachmann-Wettbewerb geweckt hat. Apropos Erwartungen: "Bei
Schlechtwetter bleiben Eidechsen zu Hause" ist der Beginn einer
Trilogie.
Blaustrümpfig
wird Kegeles literarischer Feminismus nie, in den Tagebucheinträgen,
in denen Nora ihren Rückzug dokumentiert, ist der Text fast schon
komisch. Ihr schönster Gedanke kommt Nora, als sie auf dem
Spielplatz zornig streitende Kinder beobachtet und sich wünscht,
dass Erwachsene es wagen würden, im Arbeitsamt oder bei
Bewerbungsgesprächen auch so in Rage zu geraten.
Nadine
Kegele: Bei Schlechtwetter bleiben Eidechsen zu Hause. Czernin, 320
S., 23 Euro
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