Gegen das Böse ist kein Kraut gewachsen
Maria
Matios erzählt vom Ende der Multikulturalität in der Bukowina
Tscheremoschne,
ein Dorf im Grenzwald zwischen der Ukraine und Rumänien ist kein
guter Ort für jugendliche Sonderlinge, schon gar nicht 1940. Die
Bukowina, seit je her Spielball der Mächte, dient Matios erneut als
Schauplatz eines ihrer Romane. Sie selbst wurde 1959 im einst
ethnisch bunten "Buchenland" geboren, das bis 1918 Teil der
Habsburgermonarchie war. Der Zweite Weltkrieg kam über die Bukowina
wie eine Naturgewalt, sie geriet wiederholt zwischen die Fronten,
wurde zu dem, was Timothy Snyder "Bloodlands" und Martin
Pollack "kontaminierte Landschaft" nennt: Zuerst wird sie
durch die Rote Armee annektiert, die vermeintliche
Konterrevolutionäre zu Tausenden nach Zentralasien deportiert. Im
Juni 1941 fällt die deutsche Wehrmacht ein und beginnt sofort mit
dem Holocaust.
Davon
erzählt Matios in der "Mitternachtsblüte"; wie in ihrem
letzten Roman "Darina, die Süße" aus Frauenperspektive,
von einer Randfigur, die an einer stigmatisierenden Krankheit leidet:
Das wunderliche Kind Iwanka hat Epilepsie. Fast ein Viertel des
Buches nimmt sich Matios Zeit, das dörfliche Leben zu beschreiben,
beinahe eine Idylle – wenn auch mit prügelndem Vater und
bäuerlicher Subsistenzwirtschaft: eine noch nicht elektrifizierte
Welt, in der man um den toten Vater weint, aber nicht um den
Säugling, weil die Mutter ohnehin jedes Jahr schwanger ist. In der
Mädchen mit 14 verheiratet werden: "Ein Mädel soll lange Hahre
haben, doch einen kurzen Verstand." Das kennt man aus der
heimischen Anti-Heimatliteratur, nicht aber das Zusammenleben von
Ruthenen, Rumänen, Polen, Deutschen, Huzulen, Bojken und Lemken. Die
jüdischen Nachbarn sollen zwar die Kirche nicht betreten, aber man
heizt ihnen bereitwillig am Sabbat den Ofen an. Man weiß, dass es
ihnen seit jeher als erste an den Kragen geht, doch herrscht eine
gewisse Indolenz, "das geht uns nichts an."
Matios'
Sprache ist einfach, ihre Klarheit lässt erkennen, wovon zu erzählen
ist. Die Dialoge haben zuweilen eine stifterartige Förmlichkeit. Die
volkstümliche Gläubigkeit des Kindes sowie das Unverständnis von
Eltern und Dorfgemeinschaft beschreibt Matios mehr als genau. Iwanka
schneidet sich nach falsch verstandenem Brauchtum in die Hand, weder
Hexe noch Heiler können ihren Arm retten, am Ende muss der jüdische
Wanderdoktor die Blutvergiftung stoppen. Sie will Hagel mit blankem
Hintern vertreiben, eine unliebsame Schwägerin mittels der
getrockneten Speiseröhre eines Wolfes verfluchen, die überall
lauernden Teufel mit Kräutern bannen. Die Leserin weiß schon: Das
große Unheil kommt erst, und kein Zauber wird es aufhalten. "Das
Paradies ist im Himmel, hat die Großmutter gesagt, und die Hölle
ist auf Erden."
Die
Enge des Dorfes, die archaische Schicksalergebenheit, die gewachsenen
ethnischen Ressentiments sind nichts im Vergleich zur modernen,
maschinellen Gewalt, die nun über Tscheremoschne hereinbricht.
Matios schildert eine Landschaft, die ihre Unschuld verliert. Das
zeichnet sich ab, als der galizische Schmuggler Petro erzählt, die
Polen seien vor den Deutschen gefallen "wie eine angesägte
Föhre, ... die Menschen und Länder werden aussortiert wie Nüsse".
Kurz darauf beginnen die Sowjets, die Dorfgemeinschaft
auseinanderzureißen, das wahre Morden passiert unter den Deutschen.
Mitten drin Iwanka, deren kindlicher Aberglaube sich in ungläubiges
Entsetzen über die Gräueltaten verwandelt. Das Ende der Bukowina
ist bekannt, jenes des Romans lässt zumindest eine kleine,
individuelle Hoffnung.
Matios
geht es um "Wahrheit, Reue und Vergebung". Sie fiel unter
dem Oligarchen Janukowitsch in Ungnade und und kandidierte nach
dessen Sturz erfolgreich für das ukrainische Parlament. Nicht
zuletzt deswegen ist sie eine der bekanntesten Schriftstellerinnen
des Landes, die auch ins Chinesische und Japanische übersetzt wurde.
Bei der "Mitternachtsblüte" übernahm dies Maria
Weissenböck (verdienstvoll, bis auf "die Großmutter lernte
ihr"). Das in der "Mitternachtsblüte" oft wiederholte
Motiv der streitenden Brüder illustriert wohl auch den aktuellen
Krieg zwischen Russland und der Ukraine.
Maria
Matios: Mitternachtsblüte. Haymon, 224 S., 19,90 Euro. Aus dem
Ukrainischen von Maria Weissenböck
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