Gruppensex, Jodeln und scheußliche Haikus
René
Freund versöhnt in einer launigen Liebesgeschichte Stadt und Land
Fisch
an sich gilt nicht als Aphrodisiakum, im Gegenteil, der Gedanke an
ihn dient eher der Entschleunigung. Das Hinauszögern wiederum nützt
auch der literarischen Liebesbewältigung. So müssen die vier
Protagonisten von "Liebe unter Fischen" das übliche
Wirrwarr hinter sich bringen, bevor sie einander an der Angel und in
der Mangel haben. Ein Zusatznutzen der Fische: Sie lassen sich
metaphorisch anreichern. In diesem Sinn führt die Fischforscherin
Mara den auf Spezialsommerfrische weilenden Lyriker Alfred Firneis in
das verwunderliche Paarungsverhalten der Elritze ein. Der muntere
Phoxinus phoxinus
(was passend mit "spitz" zu übersetzen ist) kann nur im
Rudel; sind zu wenige Geschlechtspartner im Teich, kommt er nicht in
Stimmung. Dafür lässt er sich gut konditionieren. Firneis zieht
dabei eine Analogie zur digitalen Schwarmdemenz des Menschen, erkennt
aber nicht, dass er selbst gerade von seinem Love-Interest
behavioristisch konditioniert wird.
Deuticke
wirbt emsig für René Freunds "Liebe unter Fischen", nicht
von ungefähr mit dem Verweis auf den Smash-Hit "Gut gegen
Nordwind". Der leichtfüßige Witz ohne Anspruch auf
literarische Avantgarde, die flott-ironische Erzählweise machen auch
diesen Text über weite Strecken unterhaltsam und mehrheitstauglich.
Zum
Plot: Firneis hat mit Lyrik – jetzt wird's kurz bizarr! – mehr
als 150.000 Bücher verkauft. Jetzt ist er ausgebrannt und ekelt sich
vor dem Literaturbetrieb. Also müllt er seine Berliner Wohnung zu,
missbraucht legale Drogen und stilisiert sich zum
Digitalisierungsverlierer. Das klingt nach Klischee und wird auch so
gekennzeichnet. Das Heilsgeschehen beginnt mit dem Auftritt der
Verlegerin, die sich durch ihren wirtschaftlichen Optimismus in eine
Malaise gebracht hat. Ihre Cashcow Firneis soll den Verlag retten und
muss davor selbst gerettet werden. Er lässt sich überreden, in
einer Seehütte an der verregneten Alpennordseite in Klausur zu
gehen. Im Elbtal wird er, der selbst Österreicher ist, wie ein
Fremder empfangen, sehr bald dann doch mit knorriger Herzlichkeit
aufgenommen. Die Zimmerlinde Firneis findet in der Figur des
urwüchsigen Jungförsters August einen Gegenspieler, der Marihuana
anbaut und nicht ganz auf der Nudelsuppe dahergeschwommen ist.
Firneis'
Menschwerdung geht schnell vonstatten, er entdeckt die kathartischen
Freuden des Selberputzens, geht mit August in die Berge und erlernt
das textlose Singen. Das alles teilt er der Verlegerin mit wachsender
Euphorie mit. "Sex muss schon sehr gut sein, um mit Jodeln
mithalten zu können." Bevor der Briefwechsel zu einem analogen
"Gut gegen Nordwind" ausarten kann, taucht Mara in seinem
See auf, die Limnologin ("Limbologin?") mit slowakischem
Akzent.
Die
Liebe in ironischen Zeiten ist naturgemäß kompliziert und von
Neurosen überwuchert, bei ihrer Schilderung drohen Pathos und
Banalität. Freund löst die Aufgabe schlau durch Selbstreferenz
(schreiben über das Schreiben) und indem er die Verlegerin über
Firneis' literarische Entgleisungen zetern lässt: Als er etwa einen
Haiku schickt ("Ein Wasserspiegel./Tropfenspiele./Regen, Regen
fällt.") und der Leser sich schon windet, wird sie streng:
"Bitte schicken Sie mir keine Haikus mehr. Bitte schreiben Sie
keine Haikus mehr. Ich hasse Haikus." Und: "Bitte schreiben
Sie auch keine Jodler. Ich kann nicht einschätzen, wie der
internationale Markt darauf reagieren würde."
Freund
bedient sich des beliebten Topos Stadt vs. Provinz, dabei gibt er es
nicht zu billig; Jodelverklärung und Hipster-Landliebe halten sich
in Grenzen. Man könnte an Vea Kaisers neuen Heimatroman
"Blasmusikpop" denken, muss aber nicht. Freund geht es
entspannter und weniger fabulierlustig an. Mit Leichtigkeit erzählt,
selbstironisch und ohne große Spielereien. Da dürfte für jeden
etwas dabei sein. Der Verlag ist zwar auf eine Rettung nicht
angewiesen, das Bestseller-Konzept könnte aber aufgehen.
René
Freund: Liebe unter Fischen. Deuticke, 208 S., € 17,90
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