Montag, 16. November 2015

Marianne Jungmaier: Das Tortenprotokoll

Die Studentin Friederike kehrt nach dem Tod ihrer Großmutter von Berlin in die dörfliche und familiäre Enge zurück. Die beiden eint nicht nur der Name, sondern ein postum entdecktes Geheimnis: Liebesbriefe, die im Rezeptbuch ("Tortenprotokoll") versteckt waren. Jungmaier erzählt in ihrem Debütroman vom rastlos-sinnlosen Arbeiten, dem Wandel des Agrarsektors, dem nie ganz verflogenen Zauber einer Jugendliebe und dem ersten, nicht selbst gewählten Verlust. Die Großmutter hatte trotz ihrer Härte das Liebesdefizit der Eltern halbwegs ausgeglichen. "In dieser Familie liebt man sich mit Süßspeisen." Ihr Tod der symbolisiert nicht nur den Abschied von der Kindheit, sondern viel mehr. Die ratlose Generation Y reagiert auf das rasante Verschwinden analoger Heimeligkeit in digitalen Zeiten mit Nostalgie. Die Nachkriegsgeneration hingegen kippt mit unsentimentaler Härte die Habseligkeiten der toten Eltern auf den Sperrmüll. Gut auf den Punkt gebracht etwa beim Blick auf deren Kalender: "Begräbnis. Darunter: gelber Sack."
Schwachpunkt mag sein, dass das Landleben im Kontrast zur städtischen Freiheit nun schon oft genug als dumpf und beschränkt gezeigt worden ist. Es wäre wohl spannender gewesen, die neue, neobiedermeierliche Sehnsucht nach dem Landleben aufs Korn zu nehmen. So leidet ein weiterer junger, intelligenter Mensch an der Gemeinheit der Zurückgebliebenen.
Aber Jungmaier schafft darüber hinaus Bilder, die man sich nicht nur gut vorstellen kann, weil man die Gegend zu kennen meint, sondern weil sie ihr Handwerk beherrscht. Etwa hier: "Nach Staub roch es bei ihr, nach Kuchen und altem Fett." Oder beim gemeinsamen Fernsehen: "Wenn sie Marika Rökk in der Csardasfürstin sah, glänzten ihre Augen, wie bei allem Vergangenen, das deutsch war und heil."  

Marianne Jungmaier: Das Tortenprotokoll. Roman. Kremayr & Scheriau

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