Freitag, 4. September 2015

Viel Wind um die Liebe: Ruth Cerha, "Bora"

 In "Bora" mach sich Ruth Cerha um den kroatischen Tourismus verdient

"Liebe und Endlichkeit, die zwei großen Themen, da kann sich keiner entziehen", heißt es in "Bora". Alles dazwischen ist ja Mumpitz, und Gefühle sind wichtig, auch wenn's die falschen sind. Der Klappentext raunt von großer Liebe und Magie – und gut, dass zum Zeitpunkt der Lektüre grad Sommer und Urlaub ist, da hat man Zeit für die Romantik. Auf die muss man in der "Geschichte vom Wind" eine Weile warten.
Schauplatz ist die Insel Susak nahe Lošinj, quasi im Lee des großen Urlauberansturms. Die Wienerin Mara verbringt als Edeltouristin ihre Sommer hier und hat sich soeben von ihrem Freund getrennt. Sie ist Schriftstellerin (Obacht, Metaebene!) und hat fast naturgemäß eine Schreibhemmung; ihr Leiden daran beschreibt sie als das Gefühl, es säße in ihrem Inneren ein strenges "kleines Mädchen im Faltenrock". Ihre Geschichtenlosigkeit bessert sich nicht, als sie eines Morgens des unsteten Fotoreporters Andrej ansichtig wird und sich unverzüglich ihn in verknallt, als sei sie nicht vierzig, sondern vierzehn. Unruhig wie eine Blume im Wind (Leitmotiv!) wird Mara vom Gefühlsüberschuss auf der Insel herumgetrieben, sie muss sich von ihren verständnsivollen Inselfreunden trösten lassen, ohne dass wir wüssten, weswegen. "Haben sie jetzt schon gebudert?", fragt der Strandnachbar, der seit 70 Seiten die Rezensentin ächzen hört. "Nein, sie ist noch nicht bereit für eine neue Beziehung!" Dann klappt's endlich mit dem feschen Kroato-Amerikaner, die Schriftstellerin fühlt "ein paar große Kirchenglocken, die direkt in meinem Brustkorb läuteten." "Wenn ich verliebt bin, werde ich pathetisch, das stört mich daran." So liest sich das stellenweise auch. Die Liebe ist ein seltsames Spiel, sie kommt und weht von einem zum andern. So wechseln auch die Perspektiven, aus denen die Geschichte erzählt wird. Weil es keine Liebe ohne Drama gibt, beginnt das freiheitsliebende Paar relativ bald mit neurotischen Zänkereien. Nur wissen wir hier auch nicht genau, ob der Zwist andere als dramaturgische Gründe hat. Zumindest löst er die Schreibblockade.
Schreiben kann Cerha sehr wohl, ein strengeres Lektorat hätte ihr aber vielleicht die obgenannten Glocken in der Brust ausgeredet, oder Sätze wie "Wenn ich etwas unbedingt möchte, beachte ich meine Achselhöhlen aber nicht. "Bora" ist ein etwas geschwätziges Buch, Cerha erklärt viel, in langen, adjektivstarken Parataxen erzählt sie zugleich vom Moment der Verliebung und von der fehlenden Mülltrennung, vom haubitzenvollen Besoffensein und schlampiger Geschützwartung. Die Dialoge dienen allzu oft als Informationsvehikel. Neben der klassischen Liebesgeschichte geht es um die Geschichte der Insel unter besonderer Berücksichtigung der Emigration nach Hoboken, New Jersey, und unter noch engerer Berücksichtigung der Familiengeschichte Andrejs. Dazu kommen Berichte aus Maras Schreibpraxis, über die Entauratisierung der Fotografie in Zeiten der digitalen Reproduzierbarkeit sowie istrische Kulinarik. Die windische Dialektik von Bora (kalter Fallwind) und Jugo (Südwind) nicht zu vergessen. Das ist alles interessant, die Handlung leidet aber.
Ganz billig gibt es Cerha freilich nicht, etwa als Mara ihrer Doch-Nicht-Schwiegermutter erklären will, dass sie sich zwar ihrer Familiengeschichte bediene, aber literarisch eh verfremdet, und diese auf gut New Jersisch grantelt, "I am not a jerk, I know what a novel is." Schön auch die Idee mit dem "Amt zur Prüfung der Daseinsberechtigung", das ideenlose Literaten molestiert. Und obwohl "Bora" sich als Urlaubslektüre etwas zu deutlich aufdrängt, ertappt man sich sehr wohl beim Wunsch, nächsten Sommer wieder einmal nach Kroatien zu fahren. Weil: Pittoreskes Inselleben! Die köstliche Seezunge, der feurige Schnaps, die warmherzigen Leute! Wäre man Leiterin des Kvarner Tourismusbüros, man wollte Cerha einen ganz lieben Brief schreiben.


Ruth Cerha: Bora. Eine Geschichte vom Wind. Frankfurter Verlags-Anstalt, 288 S., 20,50 Euro

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