Mittwoch, 23. September 2015

John Cleese: Wo war ich noch mal?

Eine fast 500 Seiten feiste Autobiographie, die ihre Verplaudertheit im Titel trägt und erst recht nur bis 1969 reicht: Dear me! Aber wir sprechen von John Cleese. Und es ist nicht nur die globale Zuneigung, die einen bei der Stange hält, das Buch ist tatsächlich lustig. Etwa als er seinen allerersten Hitler-Auftritt beschreibt. Ebenso viel wie über die Person Cleese (er hat etwa seine Unschuld erst mit 25 verloren) ist über die Praxis der Comedy zu erfahren. Nach welch großem Wagnis großer Humor verlangt, beschreibt er in einer Szene mit seiner passiv-aggressiven Mutter. Sie habe „den Kosmos als eine einzige riesige Sprengfalle“ erlebt, und als sie ihm einmal minutiös schildert, warum sie des Lebens überdrüssig sei, bietet er ihr an, einen Killer zu engagieren. „Oh Gott, ich bin zu weit gegangen‘, dachte ich. Und dann fing sie laut gackernd an zu lachen. Ich glaube, ich habe sie nie so sehr geliebt wie in diesem Moment.“ Seine Autobiographie ist auch nirgendwo schöner. Und sie wartet mit einem echten Happy End auf: 1969 gründet Cleese gemeinsam mit fünf Kollegen „Monty Python“.

John Cleese: Wo war ich noch mal? Autobiographie. Blessing, 480 S., 23,70 Euro

Mittwoch, 16. September 2015

Manfred Rebhandl: Töpfern auf Kreta

Was hat man von einem Krimi zu halten, der damit beginnt, dass der „Held“ Rock unter dem Rock einer „Zigeunerin“ aus dem Trinkkoma erwacht?! Was ist das für ein perfides und zynisches Machwerk, das Rebhandl da vorlegt! Dazu auch noch strategisch patschert: Der in Wien lebende Autor verunglimpft in der Figur der dicken Buchhändlerin genau jene Branche, auf die er angewiesen ist. Oder hofft er gar, dass seine Trashwerke nur noch in schmuddeligen Online-Shops gehandelt werden? Dort, wohin sich zu seinem Bedauern die Pornoindustrie hinverzogen hat? Zu allem Überdruss spottet er den Gesetzen der Physik, wie soll sich eine fette Frau so bewegen, als stünde sie auf trippelnden Mäusen? Wir schweigen aus Dezenz über die ungeheuerlichen Entgleisungen gegenüber Leistungsträgern der Gesellschaft, aber auch ausländischen Mitbürgern. Am allerschlimmsten: Kann sich Rock Rockenschaub bitte nicht endlich einmal duschen?! Seinen Gestank als Leitmotiv zu verwenden ist schon sehr anrüchig. Über die Handlung breiten wir den Mantel des Schweigens, denn greifen Sie einmal einem nackten Mann in die Tasche.
Man fragt sich schon, warum jetzt schon die vierte(!) Rezension dieser billigen Trashtextualität im Falter erscheint. Und antwortet: Das war ein Scherz! Wir lieben unsere Trashmaus aus Windischgarsten! Tatsächlich hat er nach eigenem Bekunden das „ großartigste Töpfern-Buch aller Zeiten“ geschrieben, obwohl dessen Rolle nicht mehr sehr viel kleiner hätte ausfallen können. Dazu ist sehr viel Lehrreiches zu Yoga und Smoothiekonsum zu lesen. Aber es stimmt auch alles, was im ersten Teil dieser Besprechung zu lesen war.

Manfred Rebhandl: Töpfern auf Kreta. Czernin Verlag

Freitag, 4. September 2015

Viel Wind um die Liebe: Ruth Cerha, "Bora"

 In "Bora" mach sich Ruth Cerha um den kroatischen Tourismus verdient

"Liebe und Endlichkeit, die zwei großen Themen, da kann sich keiner entziehen", heißt es in "Bora". Alles dazwischen ist ja Mumpitz, und Gefühle sind wichtig, auch wenn's die falschen sind. Der Klappentext raunt von großer Liebe und Magie – und gut, dass zum Zeitpunkt der Lektüre grad Sommer und Urlaub ist, da hat man Zeit für die Romantik. Auf die muss man in der "Geschichte vom Wind" eine Weile warten.
Schauplatz ist die Insel Susak nahe Lošinj, quasi im Lee des großen Urlauberansturms. Die Wienerin Mara verbringt als Edeltouristin ihre Sommer hier und hat sich soeben von ihrem Freund getrennt. Sie ist Schriftstellerin (Obacht, Metaebene!) und hat fast naturgemäß eine Schreibhemmung; ihr Leiden daran beschreibt sie als das Gefühl, es säße in ihrem Inneren ein strenges "kleines Mädchen im Faltenrock". Ihre Geschichtenlosigkeit bessert sich nicht, als sie eines Morgens des unsteten Fotoreporters Andrej ansichtig wird und sich unverzüglich ihn in verknallt, als sei sie nicht vierzig, sondern vierzehn. Unruhig wie eine Blume im Wind (Leitmotiv!) wird Mara vom Gefühlsüberschuss auf der Insel herumgetrieben, sie muss sich von ihren verständnsivollen Inselfreunden trösten lassen, ohne dass wir wüssten, weswegen. "Haben sie jetzt schon gebudert?", fragt der Strandnachbar, der seit 70 Seiten die Rezensentin ächzen hört. "Nein, sie ist noch nicht bereit für eine neue Beziehung!" Dann klappt's endlich mit dem feschen Kroato-Amerikaner, die Schriftstellerin fühlt "ein paar große Kirchenglocken, die direkt in meinem Brustkorb läuteten." "Wenn ich verliebt bin, werde ich pathetisch, das stört mich daran." So liest sich das stellenweise auch. Die Liebe ist ein seltsames Spiel, sie kommt und weht von einem zum andern. So wechseln auch die Perspektiven, aus denen die Geschichte erzählt wird. Weil es keine Liebe ohne Drama gibt, beginnt das freiheitsliebende Paar relativ bald mit neurotischen Zänkereien. Nur wissen wir hier auch nicht genau, ob der Zwist andere als dramaturgische Gründe hat. Zumindest löst er die Schreibblockade.
Schreiben kann Cerha sehr wohl, ein strengeres Lektorat hätte ihr aber vielleicht die obgenannten Glocken in der Brust ausgeredet, oder Sätze wie "Wenn ich etwas unbedingt möchte, beachte ich meine Achselhöhlen aber nicht. "Bora" ist ein etwas geschwätziges Buch, Cerha erklärt viel, in langen, adjektivstarken Parataxen erzählt sie zugleich vom Moment der Verliebung und von der fehlenden Mülltrennung, vom haubitzenvollen Besoffensein und schlampiger Geschützwartung. Die Dialoge dienen allzu oft als Informationsvehikel. Neben der klassischen Liebesgeschichte geht es um die Geschichte der Insel unter besonderer Berücksichtigung der Emigration nach Hoboken, New Jersey, und unter noch engerer Berücksichtigung der Familiengeschichte Andrejs. Dazu kommen Berichte aus Maras Schreibpraxis, über die Entauratisierung der Fotografie in Zeiten der digitalen Reproduzierbarkeit sowie istrische Kulinarik. Die windische Dialektik von Bora (kalter Fallwind) und Jugo (Südwind) nicht zu vergessen. Das ist alles interessant, die Handlung leidet aber.
Ganz billig gibt es Cerha freilich nicht, etwa als Mara ihrer Doch-Nicht-Schwiegermutter erklären will, dass sie sich zwar ihrer Familiengeschichte bediene, aber literarisch eh verfremdet, und diese auf gut New Jersisch grantelt, "I am not a jerk, I know what a novel is." Schön auch die Idee mit dem "Amt zur Prüfung der Daseinsberechtigung", das ideenlose Literaten molestiert. Und obwohl "Bora" sich als Urlaubslektüre etwas zu deutlich aufdrängt, ertappt man sich sehr wohl beim Wunsch, nächsten Sommer wieder einmal nach Kroatien zu fahren. Weil: Pittoreskes Inselleben! Die köstliche Seezunge, der feurige Schnaps, die warmherzigen Leute! Wäre man Leiterin des Kvarner Tourismusbüros, man wollte Cerha einen ganz lieben Brief schreiben.


Ruth Cerha: Bora. Eine Geschichte vom Wind. Frankfurter Verlags-Anstalt, 288 S., 20,50 Euro